HNA- Kassel, d. 10. Nov. 2007
Die Wut auf Grünenthal bleibt
Nach dem Contergan-Zweiteiler in der
ARD wird wieder über Entschädigungen für die Betroffenen gestritten.
Wieder in der Diskussion: Das Schlafmittel Contergan, dessen Wirkstoff Thalidomid Anfang der
60er-Jahre dafür verantwortlich war, das tausende Kinder mit Behinderungen zur Welt
kamen. Foto: dpa
Kassel/Aachen. Nachdem der Abspann des ersten Contergan-Films über den Bildschirm
gelaufen ist, hat bei Claudia Bach das Telefon geklingelt. Die mittlerweile 80 Jahre alte Mutter
der Contergan-geschädigten Frau aus Kassel war am anderen Ende, den Tränen
nahe. "Hätte ich doch diese Tabletten nicht genommen."
" Auch bei Claudia Bach haben die beiden am Mittwoch und Donnerstag in der ARD
ausgestrahlten Filme Erinnerungen geweckt. Bei ihr allerdings war es die Wut auf die Firma
Grünenthal, die das Schlafmittel Contergan 1957 auf den Markt gebracht hatte. Die
Entschädigung von 114 Millionen Mark, die der deutsche Pharmakonzern in eine Stiftung
eingezahlt hat, ist längst aufgebraucht. Heute zahlt der Staat die monatliche Rente von bis
zu 545 Euro. Viel zu wenig, findet Claudia Bach.
Gestern hat der Enkel des Grünenthal-Gründers und heutige Geschäftsführer,
Sebastian Wirtz, eine Schuld des Unternehmens an der Contergan-Katastrophe erneut bestritten.
In der Bild-Zeitung sagte er zudem, das Unternehmen sei für höhere
Rentenzahlungen nicht zuständig. Das sei Aufgabe der Stiftung, auf die sich
Bundesregierung, Grünenthal und Betroffene geeinigt hätten.
Dagegen hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für Gespräche
zwischen dem Pharmakonzern und den Betroffenen geworben. Sie sagte der Tageszeitung
Ruhr Nachrichten, dass viele Spätschäden bei Abschluss des Vergleichs noch nicht
absehbar gewesen seien. Einschränkend fügte Schmidt hinzu: "Mit dem Vergleich
und der Stiftung ist damals die Frage der Entschädigung rechtlich abschließend geregelt
worden." Das heißt: Abgesehen von einer möglichen moralischen Schuld ist
Grünenthal juristisch nichts vorzuwerfen.
Der Film hat die Debatte um Geld und Gerechtigkeit neu angestoßen - wohl auch, weil er so
realistisch wirkte. Das bestätigt Claudia Bach, vieles hat sie ähnlich erlebt. Wie der
jungen Contergan-Geschäädigten im Film wurde auch ihr der Zugang zu einem
traditionellen Kindergarten verwehrt. Gut getroffen sei auch der Tonfall; statt von Behinderten
sprach man in den 60er-Jahren von Krüppeln. Lob gab es von ihr auch für die
Darbietungen der Schauspieler - und für die Recherche des Regisseurs Adolf
Winkelmann.
"Hätte ich doch diese Tabletten nicht genommen."
Claudia Bachs Mutter
Gefehlt hat nach Ansicht von Claudia Bach die Rolle der Krankenkassen. In ihrem Fall sei es so
gewesen, dass ihre Eltern die Operation wegen eines durch Contergan bedingten
Nierenschadens erst selbst bezahlen mussten. Dafür nahmen sie einen Kredit auf,
das Geld bekamen sie einige Jahre später zurück. "Es hätte wohl den Rahmen
gesprengt, wenn dieser Aspekt auch angesprochen worden wäre", sagt sie.
Nicht nur bei ihr, auch bei den meisten anderen Fernsehzuschauern kam der Zweiteiler gut an.
Die erste Folge sahen 7,27 Millionen Menschen, was der ARD eine Einschaltquote von 22,2
Prozent bescherte. Am Donnerstag erreichte der Film 6,85 Millionen Menschen, was einer
Quote von 21,2 Prozent entspricht. Das zeitgleich ausgestrahlte Fußballspiel von Bayern
München sahen 5,76 Millionen Menschen.
Von Johannes Künzel